„Gut für den Kiez“?! – Zum Neubau in der Böhmischen Str. 53/54

Wir wüßten da was: Günstige Mietwohnungen für viele statt Eigentum für wenige!

Der immense Verwertungsdruck schluckt die letzten noch bebaubaren Flächen der Stadt. Die darauf errichteten Neubauten sind fast ausschließlich der finanzkräftigen Mittelschicht vorbehalten.

Exemplarisch für diese Entwicklung steht die Böhmische Straße 53/54. Wo sich derzeit noch ein großes Gewerbe- und Wohngebäude befindet, das bis 2002 einen Bolle- bzw. Edeka-Markt beherbergte, werden in Kürze Eigentumswohnungen gebaut.

Die Pläne, der Preis

Auf dem 3.350 m² großen Grundstück sollen unter dem Projektnamen Ahoj drei Wohngebäude mit 68 Wohnungen für Kapitalanleger*innen und Eigennutzer*innen errichtet werden. Bruttowohnfläche: 5.300 m². Dazu kommen 43 Tiefgaragenplätze und zwei Einzelhandelsflächen. Investitionssumme: weit über 17 Millionen Euro. Kaufpreis der Wohnungen: zwischen 2.170,00 und 2.750,00 € / m². Der Baubeginn ist für das zweite Quartal 2015 vorgesehen. Erste vorbereitende Arbeiten sind bereits erfolgt. Der Vertrieb der Wohnungen ist angelaufen.

Die neuen Eigentümer und Entwickler – Hauptsache, die Rendite stimmt

Wie so häufig wurde auch das Gelände in der Böhmischen Straße an den Höchstbietenden verkauft. In diesem Fall hat sich Böhmische Straße 53 Projektentwicklungsgesellschaft KG das Grundstück unter den Nagel gerissen. Projektpartner sind die urban space Immobilien Projektentwicklung GmbH aus Hamburg sowie der Berliner Projektentwickler Glockenweiss.

Neben dem genannten Unternehmen hatten sich mindestens zwei soziale Projekte um den Kauf des Geländes bemüht, die dort Mietwohnungen statt Eigentum schaffen wollten. Bei einem der Projekte handelte es sich um eine Initiative, die versuchte, das Anwesen in Kooperation mit dem Mietshäusersyndikat zu kaufen. Geplant war, durch Um- und Neubau günstigen Wohnraum zu schaffen und ihn dauerhaft dem Markt zu entziehen. Das andere Projekt plante als RuT-FrauenKultur&Wohnen-Zentrum „Berlins erstes generationenübergreifendes, barrierefreies und gemeinschaftliches Frauenwohnprojekt“. Eine gemeinnützige GmbH sollte als Bauherrin von ausschließlich Mietwohnungen auftreten. Ebenso waren zwei Pflege-WGs sowie Beratungsangebote vorgesehen. Ein gewisser Anteil der Mietwohnungen sollte eine grundsicherungsverträgliche Miethöhe sicherstellen.

Doch die Bemühungen dieser beiden Initiativen liefen letztlich ins Leere — der Alteigentümer handelte im Sinne der größtmöglichen Profitmaximierung äußerst zielführend, indem er an das bedeutend potentere Immobilienunternehmen Böhmische Straße 53 Projektentwicklungsgesellschaft KG mit nobler Adresse am Hamburger Fischmarktverkaufte.

Niemand hat vor, hier zu verdrängen

Glockenweiss hält sich zugute, dass durch den Neubau keine Mieter*innen verdrängt werden. Das Gebäude mag „mieter*innenfrei“ erworben worden sein, doch Fakt ist: den Rausschmiss der Mieter*innen haben Glockenweiss & Konsorten letztlich dem Voreigentümer überlassen. Wir nennen das: arglistige Täuschung der Öffentlichkeit.

Darüberhinaus dürfte klar sein: Das Neubauprojekt Ahoj wird mit seinem Volumen und seinen anvisierten einkommensstarken Kapitalanleger*innen wie potenten Erstbezugsmieter*innen für Impulse sorgen, die die Dynamiken des Immobilienmarktes verstärken und den Aufwertungsdruck in den Nachbarschaften weiter erhöhen. Zwei Baugruppen haben mit ihren bereits erfolgten bzw. noch im Bau befindlichen Neubauten in Fußnähe des Richardplatzes schon vorgelegt. Ein weiteres Baugruppenprojekt steht in den Startlöchern.

„Jeder pflanzt, was er ernten möchte“

Glockenweiss inszeniert sich als der „andere Projektentwickler“ und bewirbt sich mit dem selbstattestierten Motto „Gut für den Kiez“. Dafür verweisen sie auf einen offenen, zeitgemäßen Fachdiskurs, der auch alternativen Ansätzen der Stadt-, Wohnraum- und Platzgestaltung nicht abgeneigt ist. Glockenweiss ist beispielsweise Mitgründer von MakeCity, einem neuen Berliner „Festival für Architektur, Landschaftsarchitektur und urbane Gestaltungsansätze“. Gleichzeitig ist das Unternehmen im Lobbyverband „Bundesverband der freien Immobilien- und Wohnungsunternehmen“ vertreten, der seine Existenzberechtigung in der „Schaffung von günstigen Investitionsbedingungen für die Immobilienwirtschaft“ sieht.

Auf der Homepage des Ahoj-Projektes wird nicht nur auf das beschauliche Dorfleben im Richardkiez, die bunte Einzelhandelzusammenstellung („vom Veganrestaurant bis zur Blutwurstmanufaktur“) und das rege Nachtleben Neuköllns verwiesen, sondern besonders die gute Nachbarschaft hervorgehoben: „Für die Bewohner ist das alles nichts Außergewöhnliches. Sie sehen ihren Kiez einfach nur als genau den richtigen Ort, auf den sich die Zukunft bauen lässt. Wie wichtig ihnen dabei gute Nachbarschaft ist, lässt sich auf Schritt und Tritt beobachten. Man kennt und trifft sich, organisiert den Alltag gemeinsam und feiert zusammen.“ Genau diese Nachbarschaft ist es, die Glockenweiss & Konsorten durch ihre Immobilienrealisierungen mit zerstören.

Wir alle kriegen tagtäglich mit, wie die in Aussicht gestellten Gewinnmargen des aufgeheizten Immobilienmarktes auch bei Bestandswohnungen insbesondere in der Innenstadt die Mieten weiter ansteigen lassen. Viele Betroffene wenden noch den letzten verfügbaren Euro für ihre Mietzahlungen auf und und tun alles, um trotz einer Mieterhöhung ihre Wohnung zu halten. Andere haben erst gar keine Chance und werden gnadenlos aus ihren Wohnungen und ihrem oftmals langjährigen sozialen Umfeld geworfen.

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ES GEHT UM UNS! Wir lassen uns nicht verkaufen! Wir wollen nicht von Immobilienmakler- und Projektentwicklerbüros als Kapitalanlage angepriesen werden! Wir wollen nicht Manövriermasse einer neoliberalen Stadtpolitik sein, die an den Bedürfnissen breiter Bevölkerungsschichten vorbeigeht. Fakt ist: Die viel beworbene „gute Nachbarschaft“ wird immer weiter auseinandergerissen, weil die Menschen mit wenig Geld hier wegverdrängt werden, weil günstiger Wohnraum fehlt und wir uns die Mieten nicht mehr leisten können.

Wir brauchen…

  • selbstverwaltete Häuser abseits von Markt und Staat,
  • echte Partizipation und keine Simulation von „Bürgerbeteiligung“,
  • ein Nachbarschaftszentrum, das verschiedene Initiativen vor Ort vernetzt,
  • Wohnungsneubau mit sozialverträglichen Mieten,
  • grüne, selbstinitiierte Freiflächen in der hoch verdichteten Innenstadt. Wo bleibt ein öffentlicher Park/Garten der Anwohner*innen, zum Beispiel auf der Böhmischen Str. 53/54?
  • keine Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Sondern echten Bestandsschutz aller Mietwohnungen.

Gegen eine Politik, die Wohnraum als Ware behandelt!

Wie plädieren für eine Praxis der Aneignung und Selbstorganisation. Und was willst Du? Wir treffen uns jeden zweiten und vierten Donnerstag im Monat um 19 Uhr, bei schönem Wetter im Anwohner*innen-Garten an der Zeitzer Str./Saalestr., ansonsten im Café Linus, Hertzbergstr. 32.

Kiezforum Rixdorf / www.rixdorf.org